Mindset für erfolgreiches Lernen

Growth Mindset und Learner Agency in der Ausbildungsvorbereitung: Wissenschaftlich fundierte Ansätze zur Überwindung von Schulmüdigkeit

Worum geht es auf dieser Seite?

Auf dieser Seite stellen wir das evidenzbasierte Konzept des Growth Mindset vor. Wir nehmen dabei immer wieder Bezug auf die Ausbildungsvorbereitung. Es basiert auf Carol Dwecks' Growth Mindset-Forschung und James Andersons Kontinuum-Modell, sowie auf unserer gemeinsamen langjährigen Berufserfahrung als Lehrkräfte in der Arbeit mit (schulmüden) Lernenden.
Das Konzept zeigt konkrete Wege zur Überwindung von Schulmüdigkeit durch die systematische Förderung einer positiven Lernhaltung.


Zielgruppe: Lehrkräfte in AV-Dual-Klassen, pädagogische Fachkräfte und Bildungsverantwortliche, die ihre Förderpraxis durch Arbeit und Entwicklung einer positiven Lernhaltung erweitern möchten.

Warum eigene deutsche Begriffe?

Das Konzept des Growth Mindset stammt aus der englischsprachigen Literatur von Carol Dweck und James Anderson. Damit die Ideen für alle leicht verständlich sind, haben wir deutsche Begriffe entwickelt, die klar und eingängig sind.


Unser Ziel: Sprachliche Barrieren abbauen und den Zugang zu den Inhalten so einfach wie möglich machen. Nutze sie gerne. Wir freuen uns über einen Verweis auf unsere Seite.

Why Mindset matters – Schulmüdigkeit verstehen

Unsere Grundlagen für erfolgreiche Mindset-Arbeit im täglichen Unterricht. Basierend auf Dweck, Anderson und unseren Erfahrungen in der Arbeit mit schulmüden Schüler*innen.

Mini-Case „Alex (17)"

Alex ist seit drei Wochen in deiner AV-Dual-Klasse. Mathe-Arbeitsblatt → leeres Blatt abgeben, Blick auf den Tisch.

  • „Ich war noch nie gut in Mathe, bringt eh nichts."
  • 15 Minuten später versucht Alex es nicht einmal mehr.
  • Auf dein Lob („Gut, dass du dranbleibst …") reagiert Alex mit Schulterzucken.

Frage: Was genau blockiert Alex – Faulheit, Unfähigkeit … oder ein anderes Muster?

AV Dual als Brennglas für Schulmüdigkeit

Ausbildungsvorbereitungsklassen sammeln jene 16- bis 18-Jährigen, die im Regelschulsystem teilweise auch mehrfach „durchs Raster" gefallen sind. Die folgende Tabelle zeigt typische Befunde in AV-Dual-Klassen:

Beobachtetes Verhalten Typische Schüleraussage Dahinterliegende Annahme
Vermeidet neue Aufgaben „Ich schaff' das eh nicht …" Zeigt eine Starre Lernhaltung [Fixed Mindset]. Glaubt z.B., dass Fähigkeiten und Intelligenz nicht veränderbar sind.
Lässt Feedback abprallen „Lehrer sagen viel …" Geringe Handlungsfähigkeit [Agency]. Kennt noch wenige Lernstrategien.
Gibt schnell auf „Bringt doch nix." Kombination aus beidem
Verhalten verstehen nicht verurteilen

Die Kunst liegt darin, das Verhalten nicht als Faulheit zu etikettieren, sondern als Ergebnis jahrelanger negativer Erfahrungen und Rückmeldungen. James Anderson spricht hier von negativen Mindset Movern.

Fixed Mindset ↔ Growth Mindset – Was ist das eigentlich?

Starre Lernhaltung Lernzuversicht
„Fähigkeiten sind angeboren." „Fähigkeiten lassen sich entwickeln."
Herausforderungen = Risiko, ertappt zu werden. Herausforderungen = Gelegenheiten, stärker zu werden.
Fehler = Beweis mangelnder Begabung. Fehler = Daten fürs nächste Lern-Experiment.
Wissenschaftliche Evidenz

Carol Dweck (2006) zeigte in Langzeitstudien, dass nicht Intelligenzquotienten, sondern Überzeugungen über Intelligenz den Lernerfolg vorhersagen.

Authentic Growth Mindset vs. Learned Growth Mindset

Wichtig zu verstehen: Dweck hat das Growth Mindset nicht erfunden, sondern identifiziert. Die Menschen in ihren Studien hatten nie von „Growth Mindset" gehört – sie hatten es erlebt. Sie wussten aus Erfahrung, dass Anstrengung zu Weiterentwicklung führt.

James Anderson nutzt hier auch den Begriff: Authentic Growth Mindset: Es entsteht durch wiederholte Erfahrungen, in denen Lernende sehen, wie ihre Strategien und Anstrengungen zu messbarem Fortschritt führen.

Das Problem: Learned Growth Mindset

Viele Schulen haben "Growth Mindset" als Thema unterrichtet – mit Postern, Arbeitsblättern, Slogans. Das Ergebnis ist oft ein Learned Growth Mindset: Schüler*innen können die Phrasen wiederholen („Fehler sind Freunde"), aber es fehlt die innere Überzeugung und die erlebte Erfahrung.

Warum reines Antrainieren nicht reicht

  • Oberflächliche Anpassung statt echter Überzeugung
    Schüler*innen sagen vielleicht die „richtigen“ Dinge („Ich kann das lernen“), handeln aber weiterhin aus Angst vor Fehlern oder Leistungsdruck. Das Mindset bleibt eine Fassade.
  • Fehlende intrinsische Motivation
    Wenn das Growth Mindset nur als Regel vermittelt wird („Du musst an dich glauben“), fehlt die innere Überzeugung. Lernen wird zur Pflicht, nicht zur Chance.
  • Überbetonung von „Anstrengung“
    Lehrkräfte loben oft nur den Einsatz („Du hast dich angestrengt“), ohne die Qualität der Strategien oder den Lernprozess zu reflektieren. Das kann zu Frustration führen, wenn trotz Mühe kein Fortschritt sichtbar ist.

Verantwortung und Haltung der Lehrkraft

Problem: Lehrkräfte sehen „falsches Verhalten“ (z. B. Rückzug, geringe Beteiligung) und interpretieren es als Faulheit oder mangelnde Motivation.

Folge: Sie reagieren mit Druck, Appellen oder „Motivationsparolen“ – was die negative Erfahrung verstärkt.

Notwendige Haltung:

  • Verhalten als Symptom verstehen, nicht als Charakterfehler.
  • Fragen: „Welche Erfahrungen haben dieses Verhalten geprägt?“
  • Fokus auf Sicherheit und Vertrauen, nicht nur auf Leistung.

Handeln der Lehrkraft für echte positive innere Lernhaltung

  • Fehlerkultur aktiv leben: Fehler als Lernchance sichtbar machen, nicht nur sagen.
  • Strategien statt Parolen: Konkrete Lernwege zeigen, nicht nur „Du kannst das schaffen“.
  • Reflexion ermöglichen: Schüler*innen helfen, eigene Fortschritte zu erkennen.
  • Beziehungsarbeit: Wertschätzung unabhängig von Leistung.

Für Alex bedeutet das:

  • ❌ Ein Poster mit „Du schaffst das!" wird nichts ändern
  • ❌ Ein einmaliges Lob für Anstrengung verpufft
  • ✅ Erst wenn Alex erlebt, dass eine neue Strategie (z.B. Aufgabe in Teilschritte zerlegen) zu einem besseren Ergebnis führt, und wenn du diesen Zusammenhang sichtbar machst („Dein Plan mit den drei Teilschritten hat funktioniert – behalt das bei!"), entsteht langsam ein Authentic Growth Mindset

Der Kern für deinen Unterricht: Wir müssen Erlebnisse gestalten, nicht Appelle formulieren. Genau dafür sind die konkreten Tools in den nächsten Kapiteln da.

Das Lernhaltungs-Kontinuum (Anderson 2019)

Dwecks Dualismus (Fixed vs Growth Mindset) ist für die Praxis zu grob. James Anderson schlägt daher ein Kontinuum vor – fünf Stationen, auf denen Lernende hin- und herwandern:

1. Ignoranz-Problem

„Ich bin halt nicht kreativ …"

→ Talent gilt als Schicksal.

2. Impotenz-Problem

„Selbst wenn ich übe, wird das nix."

→ Anstrengung ist sinnlos.

3. Bewusstseins-Problem

„Ich werde nicht besser."

→ Fortschritt bleibt unsichtbar, weil die Messlatte ständig mitwächst.

4. Attributions-Problem

„Das war nur Glück."

→ Erfolge werden Glück zugeschrieben, Misserfolge der eigenen Person.

5. Authentic Growth

„Mit der richtigen Strategie + Zeit kann ich mich verbessern."

Learner Agency [Handlungsfähigkeit] – die zweite Achse

Selbst wenn Lernende an Wachstum glauben, brauchen sie Handwerk: Ziele setzen, Strategien wählen, Feedback nutzen. Handlungsfähigkeit beschreibt dieses „Ich steuere mein Lernen".

Hohe Handlungsfähigkeit Niedrige Handlungsfähigkeit
Plant Lernschritte proaktiv. Reagiert nur auf Aufgaben-Zuweisung.
Fragt nach konkretem Feedback. Meidet Rückmeldung („bloß nicht auffallen").
Reflektiert Fortschritt in Lerntagebuch. Nimmt Fortschritte kaum wahr.

In der AV-Dual finden wir oft die Kombi niedrige Handlungsfähigkeit + niedrige Lernzuversicht – ein perfekter Nährboden für Schulmüdigkeit.

Wie entsteht Lernhaltung? Mindset Mover

Mindset Mover sind kleine, wiederholte Signale in deinem Unterricht, die Lernende auf dem Kontinuum nach links (Fixed) oder rechts (Growth) verschieben:

Positive Lernhaltungs-Impulse Negative Lernhaltungs-Impulse
Feiern von Fortschritten Etikettierungen („Du bist eben kein Mathetyp")
Normalisierung von Schwierigkeiten Statischer Vergleich („Schau mal, wie gut Leon ist!")
Prozess- statt produktorientiertes Lob Lob für Talent statt Strategie

Wichtig für dich: Ein einziges positives Erlebnis kann den Regler nach rechts schieben – aber dauerhafte Verschiebung braucht konsequente, wiederholte Movers. Das ist, was du ab morgen im Unterricht tun kannst.

Fallanalyse: Alex (17) – Diagnose entlang des Kontinuums

Ausgangslage:

Drei Schulwechsel, Note 5 in Mathe, sitzt passiv hinten.

Erste Unterrichtswoche:

Erhält Lob: „Gut, dass du bis zum Ende dran warst." – keine sichtbare Wirkung – warum?

Analyse anhand des Kontinuum:

  • Ignoranz-Problem: „Ich bin dumm in Mathe"
  • Impotenz-Problem: „Üben bringt nix"
  • Agency = 0: Keine Ziel- oder Strategiekenntnis

Was Alex braucht: Nicht allgemeines Lob, sondern erlebbare Wachstumserfahrungen – eine konkrete Strategie, die zu einem sichtbar besseren Ergebnis führt. Wie das geht, zeigt Kapitel 3.

Sofort-Tipps für deine nächste Stunde

Du brauchst dafür keine komplexe Wochen-Planung. Z.B. diese drei Dinge kannst du morgen ausprobieren:

1 – Normalisiere Schwierigkeiten

Sag: „Wenn es gerade raucht im Kopf, formt sich eine neue Synapse."

Warum: Löst Ignoranz-Problem – Schwierigkeit wird normal, nicht peinlich

2 – Betrachte nur deinen eigenen Lern-Fortschritt

Tool: Fortschrittsstreifen im Heft – jeder Lösungsschritt = Strich

Warum: Löst Bewusstseins-Problem – Fortschritt wird sichtbar

3 – Feedback ≠ Note

Kurzer Dialog am Platz: „Was hat funktioniert? Was probierst du morgen anders?"

Warum: Baut Agency auf – Lernende übernehmen Steuerung

Was du aus Kapitel 1 mitnehmen solltest

  1. Schulmüdigkeit = Symptom, kein Charakterfehler. Sie entsteht durch jahrelange negative Lernhaltungs-Impulse.
  2. Der Hebel liegt in der Lernhaltung (Überzeugung, dass Entwicklung möglich ist) und in Handlungsfähigkeit (Werkzeuge und Strategien, Lernen zu steuern).
  3. Lernzuversicht entsteht durch Erlebnisse, nicht durch Poster. Deine Aufgabe: Lern- und Entwicklungserfahrungen gestalten und sichtbar machen.
  4. Du kannst sofort beginnen – mit kleinen sprachlichen und strukturellen Impulsen in deiner nächsten Stunde.
  5. Die nächsten Kapitel geben dir das Handwerkszeug:
    • Kap. 2: Diagnose-Tool – Wo stehen deine Schüler*innen?
    • Kap. 3: Interventionsdesigns – Wie gestaltest du Lernhaltungs-Impulse?
    • Kap. 4: Feedback-Techniken – Dein mächtigstes Werkzeug
    • Kap. 5: Haltung entwickeln – Vom Wissen zur inneren Überzeugung

Kapitel 2: Diagnose statt Stigma – Wo stehen deine Schüler*innen?

Die theoretische Grundlage für präzise Standortbestimmung auf dem Lernhaltungs-Kontinuum

Warum Diagnose statt Bauchgefühl?

In Kapitel 1 wurde dargestellt: Schulmüdigkeit ist kein Charakterfehler, sondern das Ergebnis jahrelanger negativer Lernhaltungs-Impulse. Doch wie lässt sich erkennen, wo genau ein*e Schüler*in auf dem Kontinuum steht?

Viele Lehrkräfte verlassen sich auf Intuition: „Die ist motiviert" oder „Der hat aufgegeben". Das Problem: Bauchgefühle führen oft zu Fehldeutungen.

Das Problem der binären Sichtweise:

Carol Dwecks ursprüngliche Unterscheidung zwischen Starrer Lernhaltung und Lernzuversicht war didaktisch wertvoll – aber in der Praxis zu grob. Lehrkräfte fragten sich: „Hat Alex nun Lernzuversicht oder nicht?" und waren frustriert, wenn die Antwort nicht eindeutig war.

James Anderson hat 2019 festgestellt: Menschen stehen nicht auf einer von zwei Inseln. Sie bewegen sich auf einem Kontinuum – und zwar situativ. Eine Schülerin kann im Praktikum forsch agieren (zuversichtlich) und im Mathetest resignieren (starr).

Das bedeutet: Lehrkräfte brauchen eine Standortbestimmung, keine Kategorisierung. Nicht „Alex ist faul", sondern „Alex steht heute hier – und morgen lässt sich ein Schritt in Richtung Lernzuversicht gehen".

Was muss erfasst werden? Die zwei Achsen

Um schulmüde Jugendliche wirksam zu unterstützen, hilft es die zwei Dimensionen verstehen:

Achse 1: Lernhaltungs-Position (Starr ↔ Zuversichtlich)

Was erfasst wird: Die zugrundeliegende Überzeugung über Lernfähigkeit.

Starr Mitte Zuversichtlich
„Fähigkeiten sind angeboren" „Vielleicht kann ich ein bisschen besser werden" „Mit der richtigen Strategie + Zeit kann ich wachsen"
Fehler = Beweis mangelnder Begabung Fehler = unangenehm, aber tolerierbar Fehler = Daten für Verbesserung
Herausforderungen = Risiko Herausforderungen = ok, wenn Erfolg wahrscheinlich Herausforderungen = Wachstumschance

Warum das für Schulmüdigkeit zentral ist: Schüler*innen mit Starrer Lernhaltung vermeiden Lernsituationen, weil jede Schwierigkeit das Selbstbild bedroht. Selbst gute Materialien helfen nicht, wenn die Überzeugung „Ich kann das eh nicht" dominiert.

Achse 2: Handlungsfähigkeit (niedrig ↔ hoch)

Was erfasst wird: Die Fähigkeit, das eigene Lernen zu steuern.

Dimension Niedrige Handlungsfähigkeit Hohe Handlungsfähigkeit
Zielklärung Wartet auf Anweisungen Setzt sich eigene Ziele
Strategiewahl Wählt immer den leichtesten Weg Probiert alternative Lösungswege
Feedback-Nutzung Ignoriert Rückmeldung Sucht aktiv Feedback und setzt es um
Reflexion „Keine Ahnung, ob ich besser wurde" Dokumentiert Fortschritte im Lerntagebuch

Warum das für Schulmüdigkeit zentral ist: Selbst wenn ein*e Schüler*in glaubt, dass (Lern-) Entwicklung möglich ist (Lernzuversicht), braucht sie Werkzeug, um das Lernen zu steuern. Ohne Handlungsfähigkeit bleibt es bei „Ich will ja, aber ich weiß nicht wie".

Die Kombination macht's:

In AV-Dual findet sich oft die Doppelbelastung: niedrige Lernzuversicht plus niedrige Handlungsfähigkeit. Das ist der perfekte Nährboden für Schulmüdigkeit.

Erfolgreiche Interventionen müssen beide Achsen adressieren. Ein Motivationsposter („Du schaffst das!") spricht nur die Lernhaltung an – aber wenn die Strategien fehlen, verpufft die Wirkung.

Vier Lernhaltungen als Orientierung

Wenn Lernhaltung und Handlungsfähigkeit kombiniert werden, entstehen charakteristische Muster. James Anderson beschreibt sie als Entwicklungspfade, keine Schubladen.

Wichtig zu verstehen:

Die vier Lernhaltungen sind keine Persönlichkeitsmerkmale („Alex ist (lern-) blockiert"), sondern Momentaufnahmen („Alex zeigt gerade eine Blockierte Lernhaltung"). Sie kann sich verschieben – durch gezielte Lernhaltungs-Impulse.

Lernhaltung Wie sie entsteht Innere Logik Beobachtbares Verhalten
Blockierte Lernhaltung
[Blockiert]
Kette von Misserfolgen → Selbstschutz
„Wer nicht beginnt, kann nicht verlieren"
Lernen = Gefahr
Anstrengung = Blamage
"Ich mache lieber dicht"
Kopf auf Tisch, passiv, beginnt erst nach detaillierter Anleitung
Leistungsorientierte Lernhaltung
[Punktesammler*in]
Schule als „Notenökonomie" → Wert = Ziffer
„Nur was zählt, lohnt sich"
Lernen = Mittel zum Notenzweck
Fehler = Imageverlust
Ehrgeizig bei Bewertung, ignoriert Übungen, fragt: „Zählt das?"
Angeleitete Lernhaltung
[Wegsucher*in]
Erfolg durch klare Vorgaben → Abhängigkeit
„Rezept-Lernen funktioniert"
Lernen = Befolgen eines Plans
Unsicherheit = Innehalten
"Ich brauche einen Plan"
Gewissenhaft bei Anleitung, fragt: „Wie viele Sätze genau?"
Gestaltende Lernhaltung
[Gestalter*in]
Wiederholte gelungene Herausforderungen → Wachstumslogik
„Strategie + Durchhalten = Erfolg"
Lernen = Chance
Herausforderung = Treibstoff
"Ich wachse an Herausforderungen"
Stellt Fragen, beginnt selbstständig, holt Feedback, hilft anderen

Warum diese Gruppierung hilfreich sein kann:

Jede Lernhaltung braucht andere Interventionen:

  • "Blockierte" brauchen Mikro-Erfolge + Beziehung.
  • "Leistungsorientierte Lernende" brauchen Prozess-Feedback statt Noten.
  • "Angeleitete Lernende" brauchen Wahlmöglichkeiten.
  • "Gestaltende Lernende" brauchen Herausforderungen.

Ohne Diagnose = Schrotflinten-Pädagogik. Mit Diagnose = passgenaue Unterstützung.

Positive ↔ Negative Lernhaltungs-Impulse: Was den Regler verschiebt

Die Diagnose zeigt, wo Schüler*innen heute stehen. Doch wie lässt sich die Position Richtung Lernzuversicht verschieben?

James Anderson betont: Durch systematische, wiederholte Lernhaltungs-Impulse – kleine Signale in Sprache, Aufgaben und Feedback, die Überzeugungen verändern.

Positive Lernhaltungs-Impulse Wirkung Negative Lernhaltungs-Impulse Wirkung
Fortschritt sichtbar machen Löst Bewusstseins-Problem
→ „Ich werde besser"
Ständiger Vergleich mit Klassenbesten Selbstwert sinkt
→ „Ich schaff's nie"
Prozesslob
„Deine Strategie hat funktioniert!"
Koppelt Erfolg an Handlung
→ Kontrolle erlebbar
Talentlob
„Du bist begabt!"
Attributions-Problem
→ Erfolg = Glück
Herausforderungen normalisieren
„Wenn's schwer ist, wächst dein Gehirn"
Löst Ignoranz-Problem
→ Schwierigkeit = normal
Fehler als Schwäche darstellen
„Schon wieder falsch!"
Risikovermeidung
→ Nur sichere Aufgaben
Strategie-Feedback
„Probier's mit Teilschritten"
Baut Handlungsfähigkeit auf
→ Werkzeug verfügbar
Nur Ergebnis-Feedback
„Note 4"
Löst Impotenz-Problem
→ „Wie ist egal"

Theoretischer Kern:

Dweck und Anderson haben gezeigt: Eine gewachsene Lernzuversicht entsteht nicht durch Reden über Lernhaltung, sondern durch wiederholte Erfahrungen, in denen Lernende sehen: „Meine Strategie + Anstrengung = Wachstum". Die Diagnose zeigt, welche Lernhaltungs-Impulse bei welchen Schüler*innen wirken.

Praktische Umsetzung: Diagnose im Schulalltag

Die Theorie ist klar: Lernhaltung + Handlungsfähigkeit müssen erfasst werden, um passgenaue Lernhaltungs-Impulse zu setzen. Doch wie lässt sich das praktisch umsetzen?

Für die Diagnose werden folgende Werkzeuge bereitgestellt:

Online-Diagnose-Tool [MatchTOOL]: Erfasst 6 beobachtbare Verhaltensweisen (z.B. „Stellt Fragen", „Bleibt bei Schwierigkeiten dran", "Nutzt Feedback"). Das Tool berechnet automatisch einen Lernzuversichts-Wert + einen Handlungsfähigkeits-Wert, ermittelt daraus eine Lernhaltung (von Blockiert bis Gestaltend) und bietet passende Sofort-Ideen für den Unterricht.

Zeitaufwand: 2-3 Minuten pro Schüler*in | Individuell: Für jede*n Lernende*n separat nutzbar

Zusätzlich verfügbar:

  • Lernradar: Schüler*innen-Selbsteinschätzung zu Andersons 4 Dimensionen von Handlungsfähigkeit (siehe Tabelle oben) → visuelles Tool für Gespräche
  • Beobachtungsraster: Lehrkraft-Tabelle zur systematischen Erfassung der beobachbaren Handlungsfähigkeit

Ausführliche Beschreibungen + Anleitungen: Hier zum Download.

Was du aus Kapitel 2 mitnehmen solltest

  1. Diagnose ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit. Ohne Standortbestimmung auf dem Kontinuum bleiben Interventionen Zufall.
  2. Zwei Achsen entscheiden: Lernhaltung (Überzeugung, dass Entwicklung möglich ist) + Handlungsfähigkeit (Fähigkeit, Lernen zu steuern). Beide müssen adressiert werden.
  3. Das Kontinuum ist offener als Fixed-vs-Growth. Menschen bewegen sich situativ auf einem Spektrum – du kannst kleine Verschiebungen bewirken.
  4. Vier Lernhaltungen sind Entwicklungspfade, keine Schubladen. Sie entstehen aus Lernerfahrungen und können sich durch gezielte Lernhaltungs-Impulse verschieben.
  5. Positive Lernhaltungs-Impulse verschieben den Regler Richtung Lernzuversicht. Fortschritt sichtbar machen, Prozess loben, Strategien vermitteln – das sind die Hebel gegen Schulmüdigkeit.
  6. Für die praktische Umsetzung gibt es Tools. Sie übersetzen die Theorie in 2-3 Minuten Schnell-Diagnose im Alltag + sofortige Handlungsideen.
  7. Die nächsten Kapitel zeigen das "Wie":
    • Kap. 3: Wie gestaltest du systematisch positive Lernhaltungs-Impulse?
    • Kap. 4: Wie wird Feedback zum wirksamen Lernhaltungs-Impuls?
    • Kap. 5: Wie entwickelst du selbst eine Lernzuversicht?

Kapitel 3: Lernhaltungs-Impulse gestalten – Erlebnisse, die bewegen

Wie du im Alltag wirksame Erfahrungen kreierst, die schulmüde Schüler*innen schrittweise entlang des Kontinuum bewegen

Was sind Lernhaltungs-Impulse?

Stell dir vor, du sagst Alex: „Du kannst das schaffen, glaub an dich!" – und Alex scheitert trotzdem an der nächsten Aufgabe. Wie groß ist die Chance, dass Alex dir beim nächsten Mal glaubt? Vermutlich klein. Warum? Weil schöne Worte allein keine Lernhaltungs-Impulse sind.

Definition nach James Anderson

Lernhaltungs-Impulse sind kleine, wiederholte Erfahrungen, die unsere Überzeugungen über eigene Fähigkeiten formen. Sie sind NICHT große Events oder einmalige Interventionen. Ihre Wirkung entfaltet sich kumulativ über Zeit.


Kernbotschaft: Wo Lernende auf dem Lernhaltungs-Kontinuum stehen, ist die Summe aller Lernhaltungs-Impulse, die sie erlebt haben.

Ein einzelnes Lob verpufft. Aber 20 kleine Momente, in denen du sagst: „Ich sehe, wie deine Strategie funktioniert" – das verschiebt das Mindset. Nicht sofort. Nicht dramatisch. Aber nachhaltig.

Mini-Fallbeispiel: Alex und der Praktikumsbericht

Alex (17) sitzt im Deutschunterricht. Die Aufgabe: einen Praktikumsbericht schreiben. Alex starrt auf das leere Blatt. Nach fünf Minuten: Kopf auf dem Tisch.

Szenario A – Negative Lernhaltungs-Impulse:
Lehrkraft: „Alex, jetzt reiß dich mal zusammen. Das ist nicht so schwer."
Alex denkt: „Ich kann das einfach nicht. Ich bin zu dumm dafür."
Ergebnis: Verstärkung der Starren Lernhaltung

Szenario B – Positive Lernhaltungs-Impulse:
Lehrkraft: „Alex, ich sehe, der Start ist schwer. Lass uns das in drei kleine Schritte zerlegen: 1) Was hast du gemacht? 2) Was war gut? 3) Was war schwierig? Wir fangen mit Schritt 1 an."
Alex schreibt drei Sätze. Lehrkraft: „Siehst du? Du hast gerade den ersten Schritt geschafft. Das ist der Anfang."
Ergebnis: Kleiner Lernhaltungs-Impuls Richtung Lernzuversicht

Wichtig: Szenario B ist kein Wunder, sondern ein bewusst gestalteter Lernhaltungs-Impuls.

Der BAE-Zyklus: Warum Appelle nicht reichen

Viele gut gemeinte Interventionen scheitern, weil sie bei Beliefs (Überzeugungen) stehen bleiben. Wir sagen: „Glaub an dich!" – aber wir gestalten keine Actions (Handlungen), die zu positiven Experiences (Erfahrungen) führen. Und ohne positive Erfahrungen? Verpuffen die schönsten Worte.

Zitat
„Believe and you will act. Act effectively, and you can achieve."
– James Anderson

Der BAE-Zyklus nach Anderson

Phase Was passiert hier? Deine Aufgabe als Lehrkraft
Beliefs
(Überzeugungen)
Lernende haben innere Überzeugungen über ihre Fähigkeiten: „Ich kann Mathe nicht" oder „Mit Übung kann ich besser werden" Zeigen, dass Fähigkeiten entwickelbar sind (nicht angeboren). Beispiele von Expert*innen teilen.
Actions
(Handlungen)
Lernende müssen wirksame Strategien kennen und anwenden – nicht nur „mehr üben", sondern WIE üben Strategien individuell anpassen, Lernzone schaffen, „Effective Effort" statt bloßer Anstrengung
Experiences
(Erfahrungen)
Lernende erleben sichtbaren Fortschritt durch ihre Handlungen – oder eben nicht Fortschritt dokumentieren (Vorher-Nachher), gegen gestern messen (nicht gegen andere), Erfolg mit Handlung verknüpfen
→ neue Beliefs Positive Experiences führen zu neuen Überzeugungen: „Mit der richtigen Strategie klappt das" Den Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg sichtbar machen: „Deine Strategie hat funktioniert!"

Das bedeutet für deinen Unterricht: Du musst nicht nur ÜBER Wachstum reden, du musst Wachstum ERMÖGLICHEN. Wie? Indem du Strategien explizit lehrst (Handlungen), Erfolge sichtbar machst (Erfahrungen) und dann – erst dann – darüber sprichst, was das bedeutet (neue Überzeugungen).

Vergleich: Ohne vs. mit BAE-Zyklus

❌ Nur Überzeugungen (scheitert):
„Du kannst das schaffen, glaub an dich!" → Lernende scheitert trotzdem → Zynismus entsteht

✅ Vollständiger BAE-Zyklus (wirkt):
„Lass uns eine Strategie testen: Erst alle Beispiele markieren, dann Muster suchen" (Handlung) → Lernende wendet Strategie an (Handlung) → sieht Verbesserung (Erfahrung) → neue Überzeugung: „Mit der richtigen Strategie klappt das"

Positive Lernhaltungs-Impulse: Was wirkt?

Anderson beschreibt drei Ebenen, auf denen Positive Lernhaltungs-Impulse ansetzen müssen. Nur wenn alle drei zusammenwirken, entsteht nachhaltiges Wachstum.

Ebene 1: Überzeugungen ansprechen

Viele der erfolgreichsten Menschen der Welt werden als „Talente" oder „Genies" bezeichnet. Doch hinter jedem dieser scheinbaren Naturtalente verbirgt sich eine Geschichte von intensiver Übung, unzähligen Stunden harter Arbeit und der Bereitschaft, immer wieder aufzustehen nach Rückschlägen.

Geschichten von Expert*innen, die durch bewusstes Üben (nicht durch angeborenes Talent) gewachsen sind, zeigen Schüler*innen: „Genies" entstehen durch Arbeit, nicht durch Begabung.

Weitere Lernhaltungs-Impulse auf Überzeugungs-Ebene: Zeig Lernwege als Wahlmöglichkeit (keine „natürliche Selektion"). Beispiel: „Letztes Jahr konnte niemand X, jetzt können es 15 von euch – weil ihr eine Strategie gelernt habt."

Ebene 2: Actions ermöglichen

Es reicht nicht, zu sagen: „Streng dich an." Du musst zeigen, WIE Anstrengung aussieht. Das nennt Anderson Effective Effort – wirksame Anstrengung, nicht bloße Anstrengung.

Strategien explizit modellieren: Denk laut beim Problemlösen. Zeig, WANN du die Strategie wechselst. Beispiel: „Ich merke, das Raten funktioniert nicht. Ich wechsle jetzt zu systematischem Vergleichen."

Lernzone schaffen: Wähle Aufgaben, die zu 70% bewältigbar und zu 30% herausfordernd sind. Nicht zu leicht (Langeweile), nicht zu schwer (Überforderung). Die Lernzone ist der sweet spot, in dem Wachstum passiert.

Effective Effort statt bloßer Anstrengung: Nicht „Du musst mehr üben", sondern „Lass uns deine Übungsstrategie ändern – statt 60 Minuten monoton, machen wir 3x15 Minuten mit wechselnden Schwerpunkten."

Ebene 3: Experiences gestalten

Wenn Lernende wachsen, aber es nicht SEHEN, war das Wachstum vergebens (aus Mindset-Perspektive). Du musst Fortschritt sichtbar machen.

Fortschritt gegen gestern messen, nicht gegen andere: „Vergleiche deine Arbeit von heute mit der von letzter Woche." NICHT: „Du bist besser als Timo."

Wachstum dokumentieren: Vorher-Nachher-Fotos von Arbeiten. Frag: „Was konntest du letzte Woche noch nicht, das du jetzt kannst?"

Erfolg mit Handlung verknüpfen (nicht mit Identität): NICHT „Du bist musikalisch", SONDERN „Deine Entscheidung, jeden Tag 10 Minuten zu üben, zahlt sich aus."

Negative Lernhaltungs-Impulse: Die 4 Pfade zur Starren Lernhaltung

Genauso wichtig wie das Schaffen positiver Lernhaltungs-Impulse ist das Entfernen negativer. Anderson beschreibt vier typische Wege, wie Lernende eine Starre Lernhaltung entwickeln – oft unbeabsichtigt, durch Sprache oder Strukturen, die wir unreflektiert nutzen.

Problem Typischer Satz Was passiert Kurzes Reframing
1. Ignoranz-Problem „Ich bin nicht der Typ für Mathe" Fähigkeit wird von Strategie und Zeit entkoppelt „Bislang hast du ohne Strategiekarte gearbeitet. Lass uns eine Methode testen."
2. Impotenz-Problem „Ich kann das nicht, egal wie sehr ich übe" Übung ohne wirksame Strategie → kein Wachstum „Du hast viel geübt, aber monoton. Lass uns deine Übungsstrategie ändern."
3. Bewusstseins-Problem „Ich habe nichts gelernt" Bewegliche Messlatte (Vergleich mit wachsenden Peers) „Schau dir deine Arbeit von vor 4 Wochen an – erkennst du den Unterschied?"
4. Attributions-Problem „Ich bin halt so" Erfolg wird Begabung zugeschrieben, nicht Handlung „Deine Entscheidung, täglich zu üben, hat dich hierher gebracht."

Kernbotschaft: Negative Lernhaltungs-Impulse zu entfernen ist oft leichter (und wirksamer!) als neue positive Lernhaltungs-Impulse zu schaffen. Achte auf deine Sprache, deine Bewertungslogiken, deine Vergleiche.

Erlebnisketten gestalten: Die 5-Schritte-Struktur

Wie sieht eine wachstumsorientierte Unterrichtsstunde konkret aus? Es gibt kein starres Schema, aber diese fünf Schritte bieten einen verlässlichen Rahmen, der Kohärenz zwischen Sprache, Aufgabe und Bewertung schafft.

Schritt Was machst du? Beispiel aus dem Unterricht Dauer
1. Sinnstiftung Kurze Erklärung, WARUM ihr das heute macht „Wir testen heute eine Strategie, mit der Fehler schneller auffallen – das spart Zeit und macht sicherer" 2-3 Min
2. Explizites Modellieren Strategie transparent machen durch lautes Denken „Ich sehe diese Aufgabe und denke: Wo fange ich an? Ich markiere erst alle wichtigen Informationen gelb..." 5-10 Min
3. Lernzone-Aufgabe Aufgabe wählen: 70% bewältigbar + 30% herausfordernd Nicht die x-te Wiederholung, sondern eine Aufgabe mit einem neuen Element 15-20 Min
4. Strategieeinsatz + Prozess-Feedback Übung + Feedback auf PROZESS (nicht Person) „Deine Strategie, zuerst zu sortieren, hat dir geholfen, das Muster zu erkennen" (NICHT: „Du bist gut in Mathe") während + 5 Min
5. Reflexion mit Belegen Vorher-Nachher-Vergleich sichtbar machen „Vergleiche deine heutige Lösung mit der von letzter Woche – was ist anders?" 5-10 Min

Wichtig: Diese Struktur ist kein Korsett, sondern ein Rahmen, der Freiräume lässt. Entscheidend ist die Kohärenz aus Sprache, Aufgabe und Bewertung. Je häufiger Lernende diese Kohärenz erleben, desto seltener brauchen wir Appelle.


Sprache folgt Erfahrung.
Erst die erlebte Praxis macht die (Lern-) Entwicklungs-Sprache glaubwürdig. Wenn Lernende die Erfahrung machen, dass Strategien wirken und Feedback hilft, übernehmen sie diese Sprache selbst.

Sofort-Tipps für deine nächste Stunde

Du musst nicht deine gesamte Unterrichtspraxis umkrempeln. Diese fünf kleinen Änderungen kannst du MORGEN umsetzen – und sie wirken als positive Lernhaltungs-Impulse gegen Schulmüdigkeit.

1. Strategie sichtbar machen

Denk beim Lösen eines Problems laut – zeige, WANN du die Strategie wechselst. Beispiel: „Ich merke, schnelles Raten bringt nichts. Ich wechsle jetzt zu systematischem Vergleichen."

Wirkt gegen: Impotenz-Problem – zeigt, dass es auf die Strategie ankommt, nicht auf Begabung

2. Prozess statt Person loben

Ersetze „Du bist clever" durch „Deine Strategie, erst zu sortieren und dann zu vergleichen, hat funktioniert." Achte auf Verben statt Adjektive: „Du hast..." statt „Du bist..."

Wirkt gegen: Attributions-Problem – koppelt Erfolg an Handlung, nicht an Identität

3. Fehler normalisieren

Frag nicht „War das schwer?", sondern „An welcher Stelle hatte dein Gehirn am meisten zu tun?" Zeig eigene Fehler: „Ich habe das beim ersten Mal auch falsch gemacht – was hat mir geholfen?"

Wirkt gegen: Ignoranz-Problem– Schwierigkeit wird normal, nicht peinlich

4. Vorher-Nachher dokumentieren

Ein Foto vom ersten Entwurf + finaler Version = sichtbarer Beleg. Oder: „Schau dir deine Arbeit von vor 4 Wochen an – was fällt dir auf?"

Wirkt gegen: Bewusstseins-Problem – Fortschritt wird sichtbar

5. Lernzone finden

Wähle Aufgaben, bei denen 70% bekannt sind und 30% neu. Test: „Wenn 5 Minuten vergehen und niemand aufgibt, bist du in der Lernzone."

Wirkt auf: Alle Ebenen – schafft Raum für Effective Effort

Was du aus Kapitel 3 mitnehmen solltest

  1. Lernhaltungs-Impulse sind kleine, wiederholte Erfahrungen – keine großen Events. Sie wirken kumulativ über Zeit und sind der Schlüssel gegen Schulmüdigkeit.
  2. Der BAE-Zyklus zeigt: Überzeugungen [Beliefs] allein reichen nicht – wir brauchen Handlungen [Actions] (Strategien lehren) + Erfahrungen [Experiences] (Fortschritt sichtbar machen).
  3. Positive Lernhaltungs-Impulse arbeiten auf 3 Ebenen: Überzeugungen (Fähigkeiten sind entwickelbar), Actions (wirksame Strategien vermitteln), Experiences (Wachstum dokumentieren).
  4. Negative Lernhaltungs-Impulse entfernen ist oft wirksamer als neue schaffen. Achte auf deine Sprache, Bewertungslogiken und Vergleiche.
  5. Die 5-Schritte-Struktur (Sinnstiftung → Modellieren → Lernzone → Feedback → Reflexion) macht Lernzuversicht erlebbar, nicht nur besprechbar.
  6. Du kannst sofort beginnen – mit kleinen sprachlichen und strukturellen Impulsen in deiner nächsten Stunde.
  7. Die nächsten Kapitel geben dir das Handwerkszeug:
    • Kap. 4: Feedback-Techniken – Dein mächtigstes Werkzeug
    • Kap. 5: Haltung entwickeln – Vom Wissen zur inneren Überzeugung

Kapitel 4: Feedback als mächtigster Lernhaltungs-Impuls

Wie Feedback den BAE-Zyklus vervollständigt, Schulmüdigkeit durchbricht und Kohärenz zwischen Worten und Strukturen schafft

Warum Feedback? Der fehlende Baustein im BAE-Zyklus

Der BAE-Zyklus aus Kapitel 3 hat gezeigt: Beliefs → Actions → Experiences → neue Beliefs. Lernende brauchen nicht nur Worte zu Überzeugungen (Beliefs), sondern wirksame Strategien (Actions) und sichtbare Erfolge (Experiences).

Doch hier liegt das zentrale Problem: Handlungen führen nicht automatisch zu positiven Erfahrungen. Schüler*innen können eine neue Strategie anwenden – und trotzdem nicht erkennen, dass sie funktioniert hat. Oder sie wenden eine Strategie an, die NICHT funktioniert, merken es aber nicht und geben auf.

In der Praxis zeigt sich oft: Lehrkräfte haben Lernzuversicht-Konzepte verstanden, verwenden die richtige Sprache, sagen „Noch nicht" statt „Falsch", loben Anstrengung. Und dennoch – bei schulmüden Schüler*innen ändert sich nichts. Die Ursache liegt in der Lücke zwischen Handlung und Erkenntnis.

Feedback ist das Element, das diese Lücke schließt – wenn es richtig gestaltet ist.

Das Problem des blinden Flecks – Alex' Beispiel

Alex hat in Kapitel 3 eine neue Strategie bekommen: „Zerlege die Aufgabe in drei Schritte." Alex probiert es aus. Ergebnis: 3 von 10 Punkten.

Alex denkt: „Bringt doch nichts, ich kann das eh nicht." (Das Impotenz-Problem: „Selbst wenn ich's versuche, reicht es nicht.")

Was Alex nicht sieht: Ohne die Teilschritte hätte Alex 0 Punkte erreicht. Die Strategie HAT gewirkt – aber Alex erkennt es nicht, weil niemand die Verbindung explizit macht.

Der blinde Fleck: Zwischen Handlungen (Strategie anwenden) und Erfahrungen (Fortschritt erkennen) klafft eine Lücke. Genau diese Lücke muss Feedback schließen.

Feedback vervollständigt den BAE-Zyklus

Ohne Feedback: Handlungen → ??? → vage/negative Erfahrung → Starre Lernhaltung verstärkt

Mit Feedback: Handlungen → „Deine Strategie X hat Effekt Y erzielt" → positive Erfahrung → Lernzuversicht entsteht

Feedback ist die Brücke zwischen dem, was Lernende TUN, und dem, was sie daraus LERNEN. Es macht den Zusammenhang explizit: „Deine Handlung → hat diesen Effekt → deshalb bist du besser geworden."

Das Problem: Wenn Feedback Schulmüdigkeit verstärkt

Nicht jedes Feedback schließt die Lücke. Manche Feedback-Arten verstärken sogar die negativen Lernhaltungs-Impulse, die wir in Kapitel 2 kennengelernt haben – und treiben schulmüde Schüler*innen tiefer in die Resignation.

Die drei Feedback-Fallen – und welches Problem sie verstärken

Feedback-Art Beispiel für Alex Welches Problem wird verstärkt?
1. Nur Ergebnis „3 von 10 Punkten, Note 5" Impotenz-Problem: „Selbst wenn ich's versuche, reicht es nicht."
2. Personen-Lob „Du bist clever!" (zu Mia)
„Du hast dich bemüht" (zu Alex)
Ignoranz-Problem: „Manche SIND eben begabt, ich nicht."
3. Vages Lob „Gut gemacht, Alex!" Attributions-Problem: „War wohl Glück. Ich weiß nicht, was ich richtig gemacht habe."
Kernbotschaft: Diese Feedback-Arten sind nicht einfach nur unwirksam – sie sind aktive negative Lernhaltungs-Impulse. Sie verstärken die Probleme aus den vorigen Kapiteln und schieben schulmüde Lernende auf dem Kontinuum nach links (Richtung Starre Lernhaltung).

Die Lösung: Prozess-Feedback nach der 3-Elemente-Formel

In Kapitel 3 hast du gelernt: Wirksame Lernhaltungs-Impulse müssen auf drei Ebenen arbeiten – Überzeugungen, Handlungen, Erfahrungen. Feedback ist der Lernhaltungs-Impuls, der alle drei Ebenen gleichzeitig adressiert.

Die Prozess-Feedback-Formel

1. WAS wurde getan? (Konkrete Handlung benennen)
→ Adressiert Handlungen: Macht die Strategie bewusst

2. WELCHEN EFFEKT hatte es? (Verbindung: Handlung → Resultat)
→ Adressiert Erfahrungen: Macht Wirkung sichtbar

3. WELCHER NÄCHSTE SCHRITT? (Konkreter Lernweg)
→ Adressiert Überzeugungen: Zeigt, dass Wachstum möglich ist

Alex bekommt wirksames Feedback

Situation: Alex hat die Mathe-Aufgabe mit der Teilschritte-Methode bearbeitet. Ergebnis: 3 von 10 Punkten.

❌ Typisches Feedback (verstärkt Schulmüdigkeit):
„3 Punkte, das reicht leider nicht. Aber gut, dass du dich bemüht hast, Alex."

  • Alex hört: „Anstrengung reicht nicht. Ich bin zu dumm für Mathe." (Ignoranz-Problem)
  • Alex denkt: „Die Strategie bringt nichts." (Impotenz-Problem)
  • Beim nächsten Mal: Alex probiert es gar nicht erst.

✅ Prozess-Feedback (durchbricht Schulmüdigkeit):
„Alex, schau mal: Du hast die Aufgabe in drei Schritte zerlegt (1. WAS) – das hat dir geholfen, den Überblick zu behalten und die ersten beiden Schritte richtig zu lösen (2. EFFEKT). Mit Hilfe der Methode hast du schon drei Punkte erreicht. Im dritten Schritt ist dir ein Rechenfehler passiert. Beim nächsten Mal: Kontrolliere nach jedem Schritt, ob das Ergebnis Sinn ergibt (3. NÄCHSTER SCHRITT). Die Strategie funktioniert – du musst nur noch sorgfältiger sein."

  • Alex hört: „Meine Strategie HAT gewirkt." (löst Impotenz-Problem)
  • Alex versteht: „Mit mehr Sorgfalt kann ich besser werden." (löst Ignoranz-Problem)
  • Alex sieht: „Ich bin von 0 auf 3 Punkte gekommen." (löst Bewusstseins-Problem)
  • Beim nächsten Mal: Alex probiert die Strategie nochmal – diesmal mit Kontrollschritten.

Warum das funktioniert: Die Forschung

John Hattie (2009): Feedback auf Prozessebene hat eine Effektstärke von d=0.70 (hoch wirksam). Feedback auf Personenebene („Du bist clever") nur d=0.14 (kaum wirksam).

Dylan Wiliam (2011): Wirksames Feedback beantwortet drei Fragen: Wo stehe ich? (Feed Back) Wo will ich hin? (Feed Up) Was ist mein nächster Schritt? (Feed Forward)

Für deine Praxis bedeutet das: Die 3-Elemente-Formel ist keine Erfindung, sondern die Übersetzung von Jahrzehnten Feedback-Forschung in eine alltagstaugliche Struktur.

Das theoretische Problem: Warum spontanes Feedback oft scheitert

Die 3-Elemente-Formel (WAS → EFFEKT → NÄCHSTER SCHRITT) ist theoretisch klar. Doch im hektischen Unterrichtsalltag entstehen drei fundamentale Herausforderungen:

Drei Gründe, warum wirksames Feedback schwerfällt

1. Kognitive Belastung im Moment
Während des Unterrichts laufen parallel: Klassenführung, Zeitmanagement, individuelle Reaktionen einschätzen, nächsten Schritt planen. Unter dieser kognitiven Last fallen Lehrkräfte in automatisierte Sprachmuster zurück – oft genau die Starren Lernhaltungs-Formulierungen, die sie eigentlich vermeiden wollten.

2. Fehlende mentale Modelle
„Gib Prozess-Feedback" ist als Appell klar, aber als Handlung vage. Welche konkreten Worte? Welcher Satzbau? Ohne präzise mentale Modelle bleibt es bei „Gut gemacht" oder „Das war besser".

3. Sozialisierte Sprachmuster
Viele Lehrkräfte wurden selbst in Starren Lernhaltungs-Kulturen groß: „Du bist begabt", „Manche haben's, manche nicht". Diese Muster sitzen tief und aktivieren sich automatisch, besonders unter Zeitdruck.

Die Konsequenz: Selbst Lehrkräfte mit bestem Willen und theoretischem Wissen fallen im Alltag zurück in unwirksame oder schädliche Feedback-Muster. Was fehlt, sind kognitiv entlastende Strukturen – Werkzeuge, die wirksame Formulierungen vordenken und trainierbar machen.

Die Lösung: Drei Wege zur Verankerung neuer Sprachmuster

Um die Lücke zwischen theoretischem Wissen und praktischer Anwendung zu schließen, braucht es Tools, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Drei unabhängige Ansätze haben sich als wirksam erwiesen:

Ansatz 1: Situative Orientierung – Die Feedback-Linsen

Theoretische Grundlage: Menschen lernen neue Sprachmuster am effektivsten, wenn sie an typische Situationen gebunden sind. Die Feedback-Linsen (in Arbeit) ordnen wirksame Formulierungen konkreten Unterrichtsmomenten zu (Erfolg, Fehler, Resignation, Fortschritt).

Funktion: Ein Nachschlagewerk mit vorgefertigten Satzmustern für häufige Situationen. Nicht als vollständige Anleitung gedacht, sondern als mentales Modell: „So KÖNNTE wirksames Feedback in dieser Situation klingen."

Ansatz 2: Wiederholung durch Zufall – Die Feedback-Slotmaschine

Theoretische Grundlage: Neue Gewohnheiten entstehen durch wiederholte, fokussierte Praxis. Die Feedback-Slotmaschine nutzt das Prinzip der täglichen Mikro-Übung: Ein zufällig gewählter Prozess-Feedback-Satz wird an einem Tag bewusst mehrfach angewendet.

Funktion: Reduziert die kognitive Belastung durch Vorauswahl. Statt „Wie gebe ich heute wirksames Feedback?" wird die Frage zu: „Wie oft kann ich DIESEN einen Satz heute anwenden?" Nach zwei Wochen täglicher Praxis sind neue Sprachmuster automatisiert.

Ansatz 3: Systematisierte Fehlerreflexion – Das Buddy-Book

Theoretische Grundlage: Fehler werden nur dann zu Lernchancen, wenn sie strukturiert ausgewertet werden. Das Buddy-Book gibt Lernenden (und indirekt Lehrkräften) eine metakognitive Struktur für diese Auswertung: Was passierte? Warum? Was lernen? Was anders machen?

Funktion: Schafft Anlässe für Prozess-Feedback. Wenn Lernende ihre Fehler reflektiert haben, kann die Lehrkraft darauf aufbauen: „Du hast erkannt, dass X nicht funktioniert hat. Das ist der erste Schritt. Lass uns Y als nächste Strategie testen."

Wichtig zu verstehen: Diese drei Tools sind keine „Rezepte", sondern Trainingsstrukturen. Sie helfen nicht, indem sie perfekte Antworten liefern, sondern indem sie die kognitive Last reduzieren und neue Sprachmuster trainierbar machen. Das Ziel ist nicht, sie dauerhaft zu nutzen, sondern durch sie hindurch neue automatisierte Feedback-Gewohnheiten aufzubauen.

Fünf Prinzipien für den Übergang zur Praxis

Die theoretischen Grundlagen sind klar, die Tools sind verfügbar. Doch wie entsteht aus diesem Wissen tatsächlich verändertes Feedback-Verhalten im Alltag? Fünf Prinzipien haben sich als tragfähig erwiesen:

Prinzip 1: Fokussierte Wiederholung vor Breite

Statt zu versuchen, „generell besser Feedback zu geben", ist es wirksamer, EINE spezifische Formulierung über mehrere Tage hinweg zu praktizieren. Die neurowissenschaftliche Grundlage: Neue Sprachmuster entstehen durch wiederholte, fokussierte Aktivierung – nicht durch breite, vage Absichten.

Praktische Umsetzung: Eine Woche lang konsequent „Deine Strategie X hat geholfen, Y zu erreichen" verwenden. In Woche 2 eine andere Formulierung. Nach vier Wochen sind vier neue Muster automatisiert.

Prinzip 2: Fehler als Reflexionsanker etablieren

Fehler sind die natürlichen Momente für Feedback – wenn sie strukturiert werden. Die theoretische Grundlage: Metakognitive Reflexion (Denken über das eigene Denken) ist trainierbar und verstärkt den BAE-Zyklus.

Praktische Umsetzung: Feste Zeitfenster (z.B. 5 Minuten am Stundenende) für Fehlerreflexion. Nicht als Strafe, sondern als Normalität. Die strukturierten Fragen (Was? Warum? Lernen? Nächstes Mal?) geben den Rahmen.

Prinzip 3: Sichtbarmachung von Fortschritt

Das Bewusstseins-Problem entsteht, weil Lernende ihre eigene Entwicklung nicht wahrnehmen – die „bewegliche Messlatte" (Vergleich mit wachsenden Peers) verhindert es. Die Lösung liegt in direkten Vergleichen: nicht Vorher-Nachher zwischen Personen, sondern Vorher-Nachher derselben Person.

Praktische Umsetzung: Systematische Dokumentation (Fotos, gespeicherte Arbeiten, erneutes Lösen alter Aufgaben). Der Vergleich wird zum Anlass für Prozess-Feedback: „Deine tägliche Übung mit Methode X hat diesen Unterschied bewirkt."

Prinzip 4: Sprachliche Präzision – Verben statt Adjektive

Starre Lernhaltungs-Sprache operiert mit Zustandsbeschreibungen (Adjektive): „Du bist clever/begabt/fleißig". Lernzuversicht-Sprache operiert mit Handlungsbeschreibungen (Verben): „Du hast analysiert/strukturiert/getestet".

Praktische Umsetzung: Systematisches Ersetzen von „Du bist..." durch „Du hast...". Nicht als Sprachpolizei, sondern als bewusste Gewohnheitsänderung über Wochen.

Prinzip 5: Revision als Strukturprinzip

Die stärkste strukturelle Aussage über Mindset liegt nicht in Worten, sondern in Bewertungslogiken. Wenn Feedback keine Konsequenz hat (weil die Note bereits feststeht), bleibt es symbolisch. Revision zeigt: Verbesserung ist möglich UND wird belohnt.

Praktische Umsetzung: Mindestens eine Aufgabe pro Woche, bei der nach Feedback überarbeitet werden kann und die überarbeitete Version zählt. Dies ist kein „Extra-Angebot", sondern Normalbetrieb.

Was du aus Kapitel 4 mitnehmen solltest

  1. Feedback vervollständigt den BAE-Zyklus: Es ist die Brücke zwischen Handlungen und Erfahrungen. Ohne Feedback bleibt der Zusammenhang zwischen Strategie und Erfolg unsichtbar – besonders für schulmüde Lernende.
  2. Falsches Feedback verstärkt Schulmüdigkeit: Ergebnis-Feedback → Impotenz, Personen-Lob → Ignoranz, vages Lob → Attribution. Es sind negative Lernhaltungs-Impulse.
  3. Die 3-Elemente-Formel wirkt: WAS (Handlung) → EFFEKT (Erfahrung) → NÄCHSTER SCHRITT (neue Überzeugungen). Sie adressiert alle drei Ebenen des BAE-Zyklus gleichzeitig.
  4. Forschung bestätigt es: Hattie zeigt d=0.70 für Prozess-Feedback vs. d=0.14 für Personen-Lob. Das ist ein 5-facher Unterschied in der Wirksamkeit.
  5. Drei Tools helfen beim Übergang: Feedback-Linsen (situative Orientierung), Slotmaschine (tägliche Übung) und Buddy-Book (strukturierte Fehlerreflexion).
  6. Die 5 Prinzipien lassen sich sofort umsetzen – beginne morgen mit fokussierter Wiederholung einer einzigen Formulierung.
  7. Das nächste Kapitel: In Kapitel 5 schauen wir auf DICH als Lehrkraft – wie entwickelst du selbst eine authentische Lernzuversicht, besonders unter Stress?

Kapitel 5 - Die eigene Haltung entwickeln

Wie authentische Lernzuversicht bei Lehrkräften entsteht, Schulmüdigkeit durchbricht und sich auf Schüler*innen überträgt

Die vielleicht unbequeme Wahrheit: Schüler*innen lesen deine Haltung

Nach vier Kapiteln voller Strategien, Tools und Theorie kommen wir zur zentralen Erkenntnis: Schüler*innen spüren, ob du wirklich glaubst, dass sie wachsen / sich entwickeln können.

Das zeigt sich nicht in deinen Worten. Es zeigt sich in Sekundenbruchteilen:

  • Wie lange bleibst du bei Alex' Tisch stehen, wenn es schwierig wird?
  • Welchen Tonfall hast du, wenn du sagst „Versuch's nochmal"?
  • Wie schnell wendest du dich ab?
  • Was zeigt deine Körpersprache, wenn Alex zum dritten Mal dieselbe Frage stellt?

Diese Signale sind ehrlicher als jedes Prozess-Feedback. Und sie übertragen sich direkt.

Der kritische Moment

Alex stockt bei einer neuen Aufgabe. Du kommst zum Tisch, siehst das leere Blatt. In deinem Kopf blitzt auf: „Alex wird das wieder nicht schaffen."

Du sagst: „Versuch's mal, du schaffst das."

Aber Alex empfängt: Ein kurzes Zögern. Ein bestimmter Tonfall. Ein Blick, der schon zur nächsten Schüler*in wandert. Die implizite Botschaft: „Die hat mit mir abgeschlossen."

Alle vorherigen Lernzuversicht-Momente werden durch diesen einen Moment überschrieben. Weil dieser Moment authentisch war. Und genau deshalb zählt er mehr als hundert richtig formulierte Feedback-Sätze.

Gerade schulmüde Jugendliche haben ein besonders feines Gespür für Inkohärenz. Sie haben Jahre damit verbracht, Erwachsene zu „lesen", die nicht an sie glauben. Nach drei Schulwechseln, wiederholten Misserfolgen und unzähligen enttäuschten Erwartungen erkennen sie sofort: Meint die das ernst, oder ist das nur Pflichtprogramm?

Warum authentische Haltung so schwer ist

Es ist nicht böser Wille. Es sind tief sitzende Überzeugungen, die sich in Stressmomenten zeigen:

Die vier kritischen Momente

In diesen Situationen zeigt sich die wahre Haltung – unabhängig von allem theoretischen Wissen:

  1. Du machst selbst einen Fehler im Unterricht – überspielst du ihn schnell, oder nutzt du ihn als Lernmoment?
  2. Ein*e schulmüde*r Schüler*in macht trotz aller Bemühungen keine Fortschritte – gibst du innerlich auf („Nach drei Schulwechseln und fünf Jahren Misserfolg – bei dem/der geht wirklich nichts"), oder fragst du dich: „Welche der vier Probleme blockiert hier noch? Welche Strategie habe ich noch nicht probiert?"
  3. Zeitdruck und Stress – fällst du zurück in „Hauptsache fertig", oder schaffst du es, auch dann eine Prozess-Rückmeldung zu geben?
  4. Du erhältst Kritik von außen – reagierst du defensiv, oder kannst du sagen: „Was kann ich daraus lernen?"

Diese vier Momente sind Haltungs-Detektoren. Hier zeigt sich, ob Lernzuversicht gelernt oder gelebt ist.

Und genau hier liegt die Herausforderung: Du kannst diese Überzeugungen nicht einfach „wegdenken". Sie entstammen oft jahrzehntelanger Sozialisation – deiner eigenen Schulzeit, deiner Ausbildung, dem Kollegium. Sie sind automatisiert.

Der Weg zur authentischen Haltung

Die gute Nachricht: Der BAE-Zyklus, der für Schüler*innen gilt, gilt auch für dich.

Überzeugungen [Beliefs] → Handlungen [Actions] → Erfahrungen [Experiences] → neue Überzeugungen [neue Beliefs].

Du musst ihn nur auf dich selbst anwenden:

Der BAE-Zyklus für deine eigene Entwicklung

1. Beliefs: Erkenne deine Starre Lernhaltungs-Trigger
Bei welchen Schüler*innen denkst du heimlich „Der/die wird's nicht schaffen"? In welchen Momenten fällst du zurück in die Starre Lernhaltung? Gerade bei schulmüden Jugendlichen mit jahrelanger Misserfolgserfahrung ist diese Überzeugung besonders hartnäckig – und besonders schädlich, weil sie sich überträgt. Diese Trigger zu erkennen ist der erste Schritt – nicht als Selbstanklage, sondern als Bewusstmachung.

2. Actions: Übe neue Reaktionen in kritischen Momenten
Wähle EINEN der vier kritischen Momente aus. Plane bewusst eine alternative Reaktion. Beispiel: „Beim nächsten eigenen Fehler sage ich: 'Interessant, ich habe hier einen Fehler gemacht. Lass uns gemeinsam schauen, wo.'" Übe diese Reaktion 10-15 mal bewusst.

3. Experiences: Dokumentiere deine eigene Entwicklung
Notiere über 4 Wochen: Wann ist mir eine Lernzuversicht-Reaktion gelungen? Wann bin ich zurückgefallen? Was verändert sich bei Schüler*innen? Ohne diese Dokumentation bleibt dein eigenes Wachstum unsichtbar – und du fällst zurück ins Bewusstseins-Problem.

4. Neue Beliefs entstehen aus Experiences
Nach 4-8 Wochen bewusster Praxis: Du hast Belege. Alex macht Fortschritte, die vorher undenkbar schienen. Du hast in Stressmomenten anders reagiert. Diese Erfahrungen formen neue innere Überzeugungen – authentisch, weil erlebt.

Was sich dann ändert – Alex spürt es sofort

Nach 6 Wochen dokumentierter Arbeit an den eigenen Triggern: Die Lehrkraft gibt Alex eine herausfordernde Aufgabe – nicht aus Pflicht, sondern mit echter Neugier, was passiert.

Alex spürt den Unterschied. Nicht in den Worten (die sind gleich), sondern in der Art, wie die Lehrkraft am Tisch stehenbleibt. In der echten Erwartung im Tonfall. In der Zeit, die sie sich nimmt.

Alex denkt nicht: „Die hat eine neue Strategie gelernt." Alex denkt: „Die glaubt jetzt echt, dass ich's schaffen kann."

Und genau diese Veränderung – unwillkürlich, authentisch – bewirkt den Durchbruch.

Du musst das nicht allein machen

Die Entwicklung authentischer Lernzuversicht-Haltung ist kein individuelles Projekt. Es ist ein Prozess, der Reflexion, Übung und manchmal auch Rückmeldung von außen braucht.

🤝 Unterstützung nutzen

Diese Seite und das Team dahinter sind da, um dich zu unterstützen:

  • Tools zur Selbstreflexion: Strukturen, die dir helfen, eigene Starre Lernhaltungs-Trigger zu erkennen und neue Reaktionsmuster zu üben – ohne dass es sich wie „noch mehr Arbeit" anfühlt.
  • Kollegialer Austausch: Du bist nicht die erste Lehrkraft, die bei bestimmten Schüler*innen an Grenzen stößt. Der Austausch mit anderen zeigt: Diese Herausforderungen sind normal. Und überwindbar.
  • Begleitung im Prozess: Die ersten 4-8 Wochen sind die schwersten – alte Automatismen kämpfen gegen neue Reaktionen. Eine Begleitung (durch Kolleg*innen, Coaches, strukturierte Reflexionsformate oder uns) macht diesen Übergang leichter.
  • Dokumentationshilfen: Werkzeuge, die sichtbar machen, was sich verändert – bei dir und bei deinen Schüler*innen. Denn ohne Sichtbarmachung fällt man leicht zurück in: „Bringt doch nichts."

Gemeinsam weiterkommen: Das Team hinter dieser Seite begleitet Schulen dabei, Lernzuversicht-Ansätze im Alltag umzusetzen – besonders im Kontext schulmüder Jugendlicher. Wir bieten schulinterne Impulse, kollegiale Austauschformate und Unterstützung bei der Prozessgestaltung an, die auf die spezifische Situation deiner Schule zugeschnitten sind.

Der Appell: Beginne bei dir selbst

Nach vier Kapiteln über Diagnose, Strategien, Feedback und Tools kommen wir zur eigentlichen Arbeit: bei dir selbst.

Nicht, weil du „falsch" bist. Sondern weil Übertragung funktioniert. Was du innerlich glaubst, sendet Signale. Diese Signale formen die Überzeugungen deiner Schüler*innen stärker als jedes Arbeitsblatt.

„Lernzuversicht bei Schüler*innen beginnt mit Lernzuversicht bei dir selbst. Nicht als moralische Forderung, sondern als funktionale Notwendigkeit: Gespielte Haltung wird entlarvt. Authentische Haltung überträgt sich."

Die gute Nachricht: Der gleiche Mechanismus, der für Alex funktioniert, funktioniert auch für dich. Du musst ihm nur zutrauen, dass er funktioniert – bei dir selbst.

Drei Schritte für morgen

1. Wähle EINEN kritischen Moment aus
Eigener Fehler? Stress-Reaktion? Schwierige*r Schüler*in? Beginne mit einem. Nicht mit allen gleichzeitig.

2. Dokumentiere 4 Wochen lang
Wann ist dir eine Lernzuversicht-Reaktion gelungen? Wann bist du zurückgefallen? Was verändert sich? Zwei Minuten pro Tag reichen.

3. Hole dir Unterstützung
Nutze die Angebote auf dieser Seite. Tausch dich mit Kolleg*innen aus. Der Prozess ist leichter, wenn du ihn gemeinsam gestaltest.

Schlusswort

Diese fünf Kapitel haben gezeigt:

  • Wie Schulmüdigkeit entsteht (Kapitel 1)
  • Wie Diagnose statt Bauchgefühl hilft (Kapitel 2)
  • Wie wirksame Erlebnisketten gestaltet werden (Kapitel 3)
  • Wie Feedback zum mächtigsten Werkzeug wird (Kapitel 4)
  • Wie die eigene Haltung sich überträgt (Kapitel 5)

Das zu wissen ist schon ein guter Start. Um zu wirken, braucht der BAE-Zyklus allerdings Handlung – bei Schüler*innen UND bei dir.

Der erste Schritt ist der schwerste: Eingestehen, dass du auch Starre Lernhaltungs-Momente hast. Dass auch du bei manchen Schüler*innen resigniert hast. Dass auch du unter Stress manchmal in alte Muster zurückfällst.

Der zweite Schritt ist leichter: Erkennen, dass dies normal ist. Und veränderbar!

Der dritte Schritt ist der wirksamste: Anfangen. Heute. Mit einem Moment. Mit einem*r Schüler*in. Mit der Dokumentation über 4 Wochen.

Schulmüde Jugendliche wie unser fiktiver Alex brauchen keine perfekte Lehrkraft. Sie brauchen eine Lehrkraft, die trotz aller Rückschläge, trotz jahrelanger Misserfolgserfahrungen auf beiden Seiten, noch glaubt: Wachstum / Entwicklung ist möglich. Nicht als Phrase, sondern als innere Überzeugung. Denn diese Überzeugung (und auch ihr Fehlen) überträgt sich in jedem Moment.

Alex wartet nicht auf die perfekte Lehrkraft. Alex wartet auf eine Lehrkraft, die wirklich glaubt: „Du kannst wachsen." Und die beginnt damit, es bei sich selbst zu beweisen.

💚 Wir sind für dich da

Diese Seite, die Tools, die Materialien – sie alle sind entstanden, um Lehrkräfte wie dich (und uns selber :) zu unterstützen. Nicht mit noch mehr Theorie, sondern mit Strukturen, die den Alltag leichter machen.

Du musst nicht alles allein herausfinden. Unsere Erfahrung zeigt: Die wirksamsten Veränderungen entstehen nicht durch individuelle Anstrengung allein, sondern durch gemeinsame Prozesse im Kollegium. Wir begleiten euch gerne dabei, passende Wege für eure Schule zu entwickeln.

Nutze, was da ist. Tausch dich aus. Beginne klein. Bleib dran.

Denn wenn du wächst, wachsen deine Schüler*innen mit dir.

Lernzuversicht in der Praxis umsetzen

Nutze unsere evidenzbasierten Materialien und Tools zur Implementierung von Lernzuversicht in der Ausbildungsvorbereitung.

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